Vision Europa: Von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft 

Forschung aktuell, 205

11. März 2008

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Vision Europa: Von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft

Europa wächst – und wächst zusammen. Fünfzig Jahre nach Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) ist eine Partnerschaft von Nationen entstanden, die früher unvorstellbar gewesen wäre. Doch wie kann sichergestellt werden, dass das zusammenwachsende Europa auch in fünfzig Jahren eine Erfolgsgeschichte bleibt? Die STIFTUNG FÜR ZUKUNFTSFRAGEN von British American Tobacco legte heute auf einer Pressekonferenz des Marketing-Clubs Nürnberg e.V. ihre erste Europapublikation „Vision Europa. Von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft“ vor. Grundlage waren Repräsentativbefragungen, die zeitgleich in den neun Ländern Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Russland, der Schweiz und Ungarn durchgeführt wurde. Die Antworten der 11.000 Befragten ab 14 Jahren repräsentieren die gesellschaftlichen Sorgen und Hoffnungen genauso wie die persönlichen Wertevorstellungen für die Zukunft Europas von rund einer halben Milliarde Menschen.
Professor Dr. Horst W. Opaschowski, der Wissenschaftliche Leiter der Stiftung: „Bei aller Euphorie über das Neue Europa muss die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit neu gestellt werden, weil sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet und Konflikte drohen. Im Zentrum der Wunsch- und Werteorientierung der Europäer steht daher das soziale Miteinander.“ Freundschaft (65%), soziale Gerechtigkeit (60%) und Verlässlichkeit (59%) führen die Werteskala der Europäer an. Aber auch Werte wie Liebe (58%), Hilfsbereitschaft (55%), Freiheit (53%) und Freundlichkeit (50%) finden eine mehrheitliche Zustimmung. Dagegen werden Loyalität (48%), Pflichtbewusstsein und soziale Verantwortung (jeweils 46%) lediglich von einer Minderheit der Europäer genannt.
Gleichzeitig stellt die Ländervergleichsstudie die Frage nach Klischee und Wirklichkeit neu. Denn in der Werteorientierung dominiert die Loyalität bei den Briten und das Pflichtbewusstsein bei den Deutschen, der Gerechtigkeitssinn bei den Finnen und das Verantwortungsgefühl bei den Schweizern, während die Russen wenig von Freundschaft halten und die Italiener noch weniger von Verlässlichkeit. Was wie eine Ansammlung von Klischees wirkt, ist nach der Selbsteinschätzung der Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Ländern ein Spiegelbild der europäischen WerteWirklichkeit im 21. Jahrhundert. Opaschowski: „Vielleicht gibt es ,die’ europäischen Werte genauso wenig wie ,die’ Europäer. Im besten Fall sind wir Deutsche, Finnen oder Italiener – aber fühlen uns als Europäer.“ Ist das Europa der Zukunft nur ein gemeinsames Dach, unter dem alle Platz und Schutz finden, aber jeder für sich leben und nach seiner Façon glücklich werden kann? Lässt sich das Europäische an Europa nur negativ beschreiben als das, was es nicht ist – nicht Asien, nicht China und nicht USA?

Wie europäisch sind die Deutschen?
Ein Werte-Vergleich

In Deutschland zeichnet sich ein Wertewandel mit positiver Grundrichtung ab. Der Projektleiter der neuen Europastudie Dr. Ulrich Reinhardt: „Im Zentrum stehen prosoziale Werte, die auf ein glückliches Zusammenleben der Menschen ausgerichtet sind. Gerade im Vergleich mit den anderen Ländern zeigt sich in Deutschland ein Bedürfnis nach mehr Werten. So liegen z.B. die Nennungen für Hilfsbereitschaft, Pflichtbewusstsein und Verlässlichkeit nirgendwo höher.“ Aber auch in Punkto Freundschaft, Liebe, Freiheit, Freundlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Verantwortung liegen die Bundesbürger über dem europäischen Durchschnitt. Einzig der Wert der Loyalität findet keine Mehrheit innerhalb der deutschen Bevölkerung und liegt unter dem der anderen Nationen.
Die Deutschen haben dabei je nach Lebensphase andere Zielvorstellungen:

  • Jugendliche glauben an den Wert der Freundschaft, der Freiheit und der Liebe – halten dafür von Pflichtbewusstsein, sozialer Verantwortung und Loyalität nur wenig.
  • Paare setzen auf Verlässlichkeit, Liebe und Pflichtbewusstsein – bewerten Freundschaften und Hilfsbereitschaft dagegen nachgeordnet.
  • Singles wollen frei sein, glauben an die Loyalität und die Freundschaft – Verlässlichkeit, Hilfsbereitschaft und soziale Verantwortung werden von Singles unterdurchschnittlich häufig angeführt.
  • Für Familien ist die Liebe wichtiger als alles andere – dafür fallen Hilfsbereit-schaft und Pflichtbewusstsein etwas zurück.
  • Jungsenioren fordern soziale Gerechtigkeit und Verantwortung, legen auf Liebe und Freundschaften etwas weniger Wert.
  • Ruheständler fordern Hilfsbereitschaft und Pflichtbewusstsein ebenso überdurchschnittlich häufig wie Freundlichkeit und soziale Verantwortung – auf Freiheit und Liebe legen sie dagegen weniger Wert.

„Europe for all”: Zukunft für alle

Die Europäische Union formuliert es programmatisch: „Europa – in Vielfalt geeint.“ Das Europa der Zukunft wird ein Europa von Menschen bleiben und fast grenzenlos vielfältig sein – auch innerhalb der einzelnen Länder. Das vermeintlich „typisch Deutsche“ könnte dann auch das typisch Spanische, Finnische oder Britische sein. Und das wird auch so bleiben. Gleichzeitig wächst der Wunsch nach Abgrenzung: Der Bayer will kein Preuße, der Schotte kein Eng-länder und der Katalane kein Spanier sein. Das liebenswert Provinzielle und Patriotische ist die wahre Heimat der Europäer. Opaschowski: „Kultur und Geschichte sowie überlieferte gesellschaftliche Normen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, mögen eine Erklärung für den spezifischen Charakter eines Landes sein. Trotzdem gibt es eine grundlegende Gemeinsamkeit der Bürger im Neuen Europa: Es ist der Wandel von der Werteorientierung, die das Überleben garantiert, zur Werteorientierung, die das Wohlbefinden steigert.“ Das Europa der Nationen und Regionen wird ein Europa der Hoffnungen und Wünsche werden, das noch eine große Zukunft vor sich hat.

Forschungsinformationen

Befragte Nationen: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritan-nien, Italien, Russland, Schweiz, Ungarn
Stichprobengröße: Insgesamt 11.000 Personen ab 14 Jahren
Methode: Repräsentative Face-to-Face-Befragung
Publikation: Die ausführliche Europa-Studie ist verfügbar unter dem Titel: "Vision Europa. Von der Wirtschafts- zur Wertegemeinschaft".

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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