Golfkrieg kann Reiselust (noch) nicht bremsen 

Freizeit aktuell, 95

11. Februar 1991

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Golfkrieg kann Reiselust (noch) nicht bremsen

BAT Freizeit-Forschungsinstitut legt erste gesamtdeutsche Urlaubsbilanz 1990/91 vor

Der Ausbruch des Golfkrieges beeinträchtigt die Reiseabsichten der Deutschen für 1991 kaum, führt jedoch zu einer deutlichen Änderung bei den geplanten Urlaubszielen. Dies ist das wichtigste Ergebnis der jetzt vorgelegten ersten gesamtdeutschen BAT-Tourismusuntersuchung. Zum Reiseverhalten 1990 und den Reiseplänen für 1991 wurden repräsentativ 4.000 westdeutsche und 900 ostdeutsche Bundesbürger im Januar dieses Jahres befragt.

Dabei zeigte sich, daß auch nach Beginn des Golfkrieges weiterhin 41 Prozent der Westdeutschen und 39 Prozent der Ostdeutschen an ihrer Absicht festhalten, im laufenden Jahr eine längere Urlaubsreise zu unternehmen. Verglichen mit den Reiseabsichten der Vorjahre (1989: 42 %, 1990: 40 %) ist keine wesentliche Änderung feststellbar. Allerdings wird sich die Tourismusbranche auf Umbuchungen hinsichtlich Reiseziel, Transportmittel und Urlaubstermin einstellen müssen.

So profitieren von der unsicheren weltpolitischen Lage vor allem inländische Reiseziele sowie Österreich und die Schweiz. Von den 20 Millionen Westdeutschen mit festen Reiseabsichten wollen nun 44 Prozent – gegenüber zunächst nur 36 Prozent vor Kriegsbeginn – in diesen Ländern ihren 91er Urlaub verbringen. Das heißt, rund 1,6 Millionen Urlauber mehr suchen jetzt neue Reiseziele im deutschsprachigen Raum.

Diese Umorientierung geht eindeutig zu Lasten der Urlaubsländer im östlichen Mittelmeer, die vor Ausbruch des Golfkrieges noch von 18 Prozent der Befragten, danach nur noch von 12 Prozent als Reiseziel genannt wurden. Darüber hinaus ist generell bei allen Auslandszielen eine wachsende Unsicherheit zu erkennen. So müssen auch die Länder des westlichen Mittelmeerraums und selbst in Nord- und West-Europa mit Einbußen aufgrund geänderter Reiseabsichten rechnen. Bei den ostdeutschen Urlaubern stellt sich dieses Problem in weit geringerem Maße. Wie im Vorjahr beabsichtigt auch 1991 der überwiegende Teil der Befragten, seinen Urlaub im deutschsprachigen Raum zu verbringen. Dies sind 75 Prozent der 5,3 Millionen Ostdeutschen, die bereits feste Reiseabsichten haben. 65 Prozent bleiben im Inland, wollen 1991 aber im Gegensatz zum Vorjahr fast ausschließlich in den westdeutschen Bundesländern Urlaub machen.

Blitzumfrage zu Auswirkungen des Golfkrieges

Dieses im Vergleich zu Meldungen der letzten Tage aus der Reisebranche doch freundlichere Bild bestätigt auch eine Blitzumfrage, die das BAT Institut zusätzlich am 2./3. Februar mit 500 repräsentativen Interviews durchgeführt hat. Danach haben 82 Prozent der Befragten „ihre Urlaubspläne für 1991 aufgrund des Golfkrieges“ nicht geändert. Nur vier Prozent haben ihre Reiseabsicht aufgegeben, und mit zwölf Prozent relativ gering ist auch der Anteil der Befragten, die mit einem veränderten Urlaubsverhalten auf den Golfkonflikt reagieren: sieben Prozent haben sich bereits ein neues Reiseziel ausgesucht, drei Prozent wollen ein anderes Verkehrsmittel benutzen und zwei Prozent werden den Urlaubsbeginn verschieben.

Reisesaison 1990 im Ost-West-Vergleich

Das erste Jahr gesamtdeutscher Reiseaktivität läßt eine grundsätzliche Gemeinsamkeit zwischen den west- und ostdeutschen Bundesbürgern erkennen: In den alten wie in den neuen Bundesländern ist der Anteil mobiler und immobiler Bevölkerungsgruppen fast annähernd gleich. 42 Prozent Nichtreisenden im Westen stehen 41 Prozent Nichtreisende im Osten gegenüber. Doch auf den zweiten Blick ist erkennbar: Die ostdeutschen Bundesbürger reisen genauso viel, aber nicht genauso lang. Im Ost-West-Vergleich zeigen sich Unterschiede nicht so sehr in der Reiseintensität, sondern in der Reisedauer.

  • Urlausbsreisen, die fünf Tage oder länger dauerten, haben 1990 53 Prozent der westdeutschen und 49 Prozent der ostdeutschen Bevölkerung unternommen.
  • 46 Prozent der westdeutschen Bevölkerung haben sich im vergangenen Jahr eine Urlaubsreise geleistet, die mindestens zwei Wochen dauerte. Deutlich geringer fiel der Anteil der ostdeutschen Zwei-Wochen-Urlauber (37 %) aus.
  • Mehr als jeder vierte Westdeutsche (27 %) konnte sich 1990 eine Urlaubsreise von mindestens drei Wochen Dauer leisten, dagegen nur jeder zehnte Bürger (10 %) in den neuen Bundesländern.

Reiseziele ’90

Jeder zweite Ostdeutsche machte Urlaub wie bisher 57 Prozent der rund fünf Millionen Ostdeutschen, die 1990 eine längere Reise machten, verbrachten ihren Urlaub an der Ostseeküste in Mecklenburg-Vorpommern (23 %) oder in den anderen Feriengebieten der neuen Bundesländer (29%). Bei den westdeutschen Urlaubsregionen besonders gefragt waren die Mittelgebirge (9 %), das norddeutsche Binnenland (8 %) sowie Ostbayern und das Allgäu (7 %).

In der Entdeckung ausländischer Reiseziele stehen die ostdeutschen Urlauber hingegen erst am Anfang. 1990 ist Österreich das beliebteste westliche Auslandsreiseziel der Ostdeutschen gewesen. Über 350.000 Ostdeutsche haben 1990 ihren Urlaub in Österreich verbracht. Dies waren sieben Prozent aller Urlauber. Spanien (3 %) und Italien (2 %) waren dagegen – räumlich und finanziell – fast unerreichbar.

Auch für die Westdeutschen heißt das beliebteste Urlaubsland weiterhin Deutschland. Hier haben 1990 doppelt so viele ihren Urlaub verbracht (32 %) wie etwa in Spanien und fast dreimal so viel wie in Italien. Die beliebtesten Inlandsreiseziele der Westdeutschen waren Ostbayern, Oberbayern, Allgäu (8 %) und die Nordsee (5 %). Hingegen blieb der erwartete Ansturm auf die ostdeutschen Feriengebiete fast völlig aus. Gerade drei Prozent der  Westdeutschen, die 1990 eine längere Reise gemacht haben, wählten die neuen Bundesländer als Urlaubsziele. Deren mangelhafte Infrastruktur dürfte hierfür ein wesentlicher Grund gewesen sein. Von den über 22 Millionen westdeutschen Urlaubsreisenden 1990 haben sich gerade 700.000 auf das Abenteuer eines Neugier- und Entdeckungstourismus in Ostdeutschland eingelassen.

Spitzenreiter bei den westdeutschen Auslandsreisenden waren auch 1990 wieder Spanien (16 %), Italien (11 %) und Österreich (9 %). Zu den Gewinnern der letztjährigen Reisesaison gehörten Griechenland und Frankreich mit jeweils sieben Prozent.

Die Reisesehnsüchte der neuen Bundesbürger

Das spezifische Urlaubsprofil der Ostdeutschen läßt sich mit drei Worten umschreiben: Natur – Kultur – Kontakt. Jeder zweite ostdeutsche Urlauber (51 % – West: 38 %) träumt von „idyllischer Landschaft“ und „freier unberührter Natur“. Die ökologischen Probleme im eigenen Umfeld machen verständlich, warum der grüne Kontrast zum grauen Alltag gesucht wird. Man möchte „Natur um sich haben“ (45 % – West: 35 %) oder direkt „im Grünen wohnen“ und „Natur vor der Tür“ (38 % – West: 26 %) haben. Intakte Rahmenbedingungen von Natur und Landschaft, nicht so sehr das eigene umweltbewußte oder naturverträgliche Urlaubsverhalten, stehen dabei im Mittelpunkt.

Im Unterschied zur westdeutschen Bevölkerung spielt darüber hinaus das Urlaubsmotiv Kultur eine besonders große Rolle. Jahrzehntelang waren der Bevölkerung der ehemaligen DDR Auslandsreisen verwehrt. Daher ist ihr Informationshunger nach kulturellen Sehenswürdigkeiten außerordentlich groß. Die Bürger in den neuen Bundesländern wollen jetzt endlich „berühmte Bauwerke“ besichtigen (46 % – West: 29 %) und „andere Kulturen“, kennen lernen (31 % – West: 24 %). Dies wird von ihnen als nachhaltigere Urlaubs impression empfunden als das bloße Faulenzen und Nichtstun.

Kontakt lautet das dritte Motiv, das ostdeutsche Urlauber deutlich von den westdeutschen unterscheidet. Dabei zeigt sich, daß das „Zusammensein mit der Familie“ für sie eine Bedeutung hat (53 % – West: 32 %), wie sie in den 60er Jahren das Urlaubsverhalten der Westdeutschen charakterisierte, als der Urlaub noch ein knappes Gut war. Urlaubszeit war damals wesentlich Erholungszeit in und mit der Familie. Mit dem Urlaub ist für die ostdeutschen Urlauber aber außerdem die Hoffnung verbunden, „mit anderen Menschen zusammenkommen“ zu können (53 % – West: 32 %). Das Bedürfnis, die Alltagsgesichter (von Kollegen und Nachbarn) hinter sich zu lassen, ist bei den ostdeutschen Urlaubern besonders stark ausgeprägt. Sie suchen im Urlaub vor allem das Neue, das ganz Andere. Und sie sind neugierig auf andere Menschen, andere Landschaften und andere Kulturen.

Preise und Sauberkeit als Hauptärgernis
Starker Einbruch bei ostdeutschen Feriengebieten in 1991 zu erwarten

Was west- und ostdeutschen Urlaubern die größten Probleme bereitet, sind die hohen Preise am Urlaubsort. Die Klagen jedes vierten Urlaubers in Ost und West über zu hohe Preise beziehen sich in erster Linie auf das Preis-/ Leistungsverhältnis und sind nicht etwa von der Höhe des Einkommens abhängig. Bezieher höherer Einkommen kritisieren die zu hohen Preise am Urlaubsort genauso wie Bezieher niedriger Einkommen.

Urlauber stellen hohe Ansprüche an die Sauberkeit am Urlaubsort. Ostdeutsche Urlauber melden hier deutlich mehr Kritik an (22 % – West: 14 %). Jeder zweite von ihnen hat Urlaub im eigenen Land gemacht – in Gebieten mit vielen ungelösten Urlaubsproblemen. Über ein Drittel der Ostdeutschen (35 %), die 1990 Urlaub an der Ostsee/Mecklenburg-Vorpommerschen Küste machten, kritisierten die fehlende Sauberkeit im Urlaubsgebiet. Kein anderes Feriengebiet hat eine so hohe Unzufriedenheitsquote erreicht. Die Unzufriedenheit der Ostdeutschen hinsichtlich Preisen und Sauberkeit mit den Urlaubsgebieten vor der Haustür wird Konsequenzen haben. Hatten im letzten Jahr noch 2,7 Millionen in den ostdeutschen Ländern Urlaub gemacht, so haben 1991 nur noch 900.000 diese Absicht. Ein solcher Rückgang wird schwerwiegende Folgen für die sich gerade neu entwickelnde Tourismusinfrastruktur in diesen Regionen haben.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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