Freizeit im Verein 

Freizeit aktuell, 110

5. Juli 1993

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Freizeit im Verein

BAT Untersuchung zum deutschen Vereinsleben

Mehr als jeder zweite Deutsche (57 %) ist heute in mindestens einem, im Durchschnitt sogar in zwei Vereinen Mitglied. Dies ermittelte das BAT Freizeit-Forschungsinstitut in einer aktuellen Repräsentativumfrage. Erstmals wurden mit der neuen Untersuchung die Vereinsinteressen in den alten und neuen Bundesländern verglichen. Es zeigt sich, daß selbst 40 Jahre getrennter Entwicklung die Gemeinsamkeit eines – oft als typisch deutsche Wesensart bezeichneten – Vereinslebens nicht verhindern konnten.

Mit 55 Prozent erreicht die Vereinszugehörigkeit in Ostdeutschland gegenwärtig einen fast gleich hohen Wert wie im Westen (58 %). Dies gilt für Frauen (Ost: 48 %, West: 49 %) ebenso wie für Männer (63 bzw. 68 %), die generell in fast allen Vereinen stärker vertreten sind. Lediglich kirchliche und karitative Organisationen bilden hier in beiden Teilen Deutschlands eine Ausnahme.

Im Westen Sport, im Osten Kleingarten

Allerdings weist die Vereinslandschaft in Ost und West deutliche strukturelle Unterschiede auf. Der Anteil Westdeutscher in Sportvereinen ist doppelt so hoch (26 %) wie in Ostdeutschland (13 %). Auch die traditionsreichen Gesang-, Schützen- und Wandervereine sind heute eine westliche Domäne.

Und während jeder zehnte Deutsche in den alten Bundesländern einem Kegelclub angehört, sind es in den neuen Bundesländern gerade zwei Prozent. Genau umgekehrt sieht es bei den Kleingartenvereinen aus (Ost: 10 %, West: 2 %), die in Ostdeutschland ihren besonderen Stellenwert als Freizeiteinrichtung behalten haben.

Neben der Analyse der freizeitorientierten Vereine erlaubt die BAT Befragung auch einen Blick auf die Mitgliedschaft in politischen und berufsständigen Organisationen. Während sich in Ostdeutschland 17 Prozent der Befragten als Gewerkschaftsmitglied bezeichneten, waren es im Westen nur acht Prozent. Besonders der Anteil der organisierten berufstätigen Frauen ist in den neuen Bundesländern fast dreimal so hoch (Ost: 21 %, West: 8 %). Hingegen besteht bei der Mitgliedschaft in Parteien weitgehend Übereinstimmung: Lediglich vier Prozent der Westdeutschen und nur noch drei Prozent der Ostdeutschen gaben an, in einer Partei zu sein, wobei jeder Zweite (West: 59 %, Ost: 52 %) sich zudem als passives Mitglied bezeichnete.

Vereinsmüdigkeit in Westdeutschland?

Die BAT Untersuchung zeigt für die alten Bundesländer – hierzu liegen Vergleichsdaten vor – einen Rückgang der Mitgliedschaften um insgesamt vier Prozentpunkte seit 1990, als noch 62 Prozent der Befragten in Vereinen organisiert waren. Das heißt, die westdeutschen Vereine sind in diesem Zeitraum um rund zwei Millionen Mitglieder ärmer geworden. Dieser Trend trifft vor allem die mitgliederstarken Sportvereine (1990: 29 %, 1993: 26 %), denen die Konkurrenz kommerzieller Anbieter besonders zu schaffen macht. Private Fitnesscenter und Sportstudios fördern nicht nur die individuelle Spontaneität, sondern lassen auch allgemein die Bindungsbereitschaft sinken.

„Der Trend zur Kommerzialisierung der Freizeit im Westen kann Entsolidarisierung im Alltag zur Folge haben“, so Prof. Opaschowski, der Leiter des BAT Instituts, „weil bezahlte Dienstleistungen persönliches Dienen vergessen machen und traditionelles Vereinsleben zunehmend an Bedeutung verliert.“ Reine Nützlichkeitserwägungen rücken die Förderung des Gemeinschaftslebens und der sozialen Verantwortung in den Hintergrund. Immer mehr Menschen genießen die neuen Freiheiten individualistischen Freizeitkonsums: alles tun können, aber nichts tun müssen.

Diese Entwicklung scheint vor keinem Vereinstyp halt zu machen. So weist die BAT Umfrage gerade für solche Organisationen Rückgänge nach, die das Gemeinschaftsleben oder die soziale Verantwortung zu den Schwerpunkten der Vereinsinhalte zählen. Dies gilt für Gesang- und Schützenvereine ebenso wie für kirchliche Vereine oder die Freiwillige Feuerwehr.

Ostdeutsche aktiver im Verein

Der Prozentsatz der intensiv am Vereinsleben teilnehmenden Mitglieder ist in den neuen Bundesländern in der Regel deutlich höher. So bezeichnen sich als aktive Mitglieder zum Beispiel im Sportverein 81 Prozent (West: 70 %). Bei der Freiwilligen Feuerwehr sind es 82 Prozent (West: 40 %) oder im Gesangverein gar 88 Prozent (West: 64 %).

Hinzu kommt eine deutlich höhere Bereitschaft, eine ehrenamtliche Aufgabe zu übernehmen. So haben zum Beispiel in ostdeutschen Sportvereinen zwölf Prozent aller Mitglieder ein Amt übernommen, während es im Westen nur sieben Prozent sind. Die Unlust zur Übernahme einer ehrenamtlichen Aufgabe ist offensichtlich ein typisches Wohlstandssyndrom. Weil sich die westdeutschen Vereine zunehmend zu Dienstleistungsorganisationen wandeln, entfällt der Pflicht- oder Notwendigkeitscharakter für freiwillige Mitarbeit. Im Osten „nutzt“ der Verein mehr den Bürgern, im Westen wird der Verein eher „benutzt“.

Technische Daten der Befragung

Anzahl der Befragten: 2.600 Personen
Repräsentanz: Gesamtdeutschland, Bevölkerung ab 14 Jahren
Zeitraum der Befragung: 5. bis 15. März 1993
Bei der Umfrage wurden 210 Interviewer eingesetzt.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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