Streßfaktor Freizeit: Bundesbürger kommen nach der Arbeit nicht zur Ruhe 

Der Freizeitbrief, 35

1. Oktober 1984

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Streßfaktor Freizeit: Bundesbürger kommen nach der Arbeit nicht zur Ruhe

Was viele bisher nur dem Beruf oder der Schule zuordnen, gibt es offensichtlich auch in der Freizeit: Streß. Nach einer neuen Repräsentativbefragung des BAT Freizeit-Forschungsinstituts klagen zwei Drittel (65 %) der Bevölkerung über 14 Jahre darüber, daß sie sich vor allem in Freizeitsituationen, die mit Gedränge, Schlangestehen oder Warten verbunden sind, „unter Druck gesetzt bzw. gestreßt fühlen“. Fast ebenso viele (62 %) haben nach Feierabend oder am Wochenende das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung, „werden aber von anderen gestört“, vor allem von der eigenen Familie. Denn am meisten fühlen sich die 3- und 4-Personen-Haushalte (70 % bzw. 64 %) in ihrer Feierabendruhe gestört, am wenigsten die ein-Personen-Haushalte (52 %).

Nach der BAT-Untersuchung muß nun auch der Freizeittrend zu mehr Geselligkeit (Besuche und Einladungen haben sich in den letzten dreißig Jahren verdoppelt) neu bewertet werden. Jedem zweiten Bundesbürger (54 %) werden die „Pflichtbesuche“ allmählich zu viel, das heißt, private Einladungen werden als Verpflichtung angesehen, „denen man nachkommen muß“. Dieser Auffassung sind vor allem die Großstädter (59 %) in Orten über 100.000 Einwohner, die Angestellten und Beamten (63 %) sowie die Selbständigen und freien Berufe (65 %).

Jeder zweite Großstädter (53 %) in Orten über 100.000 Einwohner klagt über Lärmbelästigung durch Dritte in der Freizeit (z.B. bei Sportveranstaltungen, Kirmes, Straßenfesten), was auf dem Lande (in Orten unter 5.000 Einwohnern) weniger störend (40 %) ist. Und jedem zweiten Bundesbürger über 50 Jahre (51 %) geht die Dauerberieselung mit Musik auf die Nerven – im Gegensatz zur Walkman-Generation der 14- bis 19-jährigen, bei der nur jeder vierte (26-%) Streß-Symptome registriert. Daß Verkehrsstau bei Wochenend- und Urlaubsfahrten zusätzliche Streßfaktoren sind, ist nicht weiter verwunderlich.

Nach Auffassung der BAT Freizeitforscher muß der Streßbegriff in der wissenschaftlichen Diskussion überdacht und erweitert werden. Professor Dr. Opaschowski: „Wir wissen, daß ständige Leistungsanforderungen, Klassenarbeiten oder der „blaue Brief“ an die Eltern Schulstreß erzeugen können. Es ist bekannt, daß körperliche und nervliche Arbeitsüberlastungen, Zeit- und Termindruck oder Angst vor Arbeitslosigkeit bedrohliche Streßsituationen hervorrufen. Beim Freizeitstreß hingegen handelt es sich um die Anhäufung vergleichsweise kleiner physischer und psychischer Belastungen, die sich ständig wiederholen und auf Dauer Streß verursachen: Aktivitätenstreß beim Jogging oder Langlauf, Kontaktstreß in der Clique oder in Gesellschaft, Lärmstreß bei Feiern oder Massenveranstaltungen. Die Streßbelastungen sind hier subtiler und nicht selten selbstauferlegt. Viele haben Schwierigkeiten, ökonomisch mit der Zeit umzugehen, sich selber Grenzen zu setzen und auch mal nichts zu tun. Wer kann schon am Wochenende in Ruhe „die Seele baumeln lassen?“

Mehr Freizeit bedeutet für viele Bundesbürger nach einer neuen Untersuchung des BAT Freizeit-Forschungsinstituts nicht automatisch mehr Ruhe und Erholung. Gedränge bei Freizeitveranstaltungen, Pflichtbesuche, Verkehrsstaus und Störungen durch andere belasten das eigene Freizeiterleben und erzeugen inmitten von Kontaktflut, Freizeitangeboten und pausenloser Betriebsamkeit eine neue Art von Streß: den „Freizeitstreß“.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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