Stirbt die deutsche Vereinsmeierei? 

Der Freizeitbrief, 72

27. September 1988

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Stirbt die deutsche Vereinsmeierei?

Der moderne Freizeitmensch will unabhängig bleiben

Jeder Deutsche in zwei Vereinen: Diese traditionelle Formel gilt nicht mehr. Heute sind 42 Prozent der Bundesbürger weder Mitglied in Vereinen oder Clubs, noch gehören sie Parteien oder berufsständischen Organisationen an. Wie das BAT Freizeit-Forschungsinstitut nach einer Repräsentativbefragung feststellt, sind vor allem Großstädter (48 %) vereinsmüde. Hingegen verbringen zwei Drittel der Landbewohner (67 %) nach wie vor einen wesentlichen Teil ihrer Freizeit im Verein. 

Nach der Umfrage stehen Sportvereine (25 %) und Kegelclubs (12 %) an erster Stelle aller Nennungen, gefolgt von Gewerkschaften (8 %) und Automobilclubs (7 %). Einen gleich hohen Prozentsatz weisen kirchliche Vereine sowie karitative Einrichtungen auf (jeweils 7 %), die vornehmlich jedoch die über 55jährigen (12 %) zu ihren Mitgliedern zählen. Auf den nächsten Plätzen folgen zwei klassische Einrichtungen des deutschen Vereinslebens: Schützen- und Gesangverein können allerdings nur jeweils 6 Prozent der Befragten für ihre Aktivitäten begeistern.

Weiterhin zeigt die BAT-Erhebung die wachsende Vielfalt von Freizeitvereinigungen: Vom Landfrauenverein bis zum Kleingartenverein, vom Hobbyclub bis zum Fanclub, vom Bürgerverein bis zur Bürgerinitiative reicht die Palette des organisierten Freizeitlebens.

Werden die Deutschen vereinsmüde?

Die Umfrageergebnisse machten eine auffallende Kluft deutlich zwischen formeller Mitgliedschaft einerseits und subjektiver Vereinszugehörigkeit andererseits. So zählt beispielsweise der organisierte Sport über 20 Millionen Mitglieder, aber nur 12 Millionen Bundesbürger ab 14 Jahren geben an, Mitglied in einem Sportverein zu sein. Die Automobilclubs nennen über 8 Millionen Mitglieder, die Ergebnisse der Repräsentativbefragung lassen jedoch nur auf eine Zahl von 3,4 Millionen Aktiven schließen. Und selbst die Gewerkschaften registrieren 7,7 Millionen, doch nur 3,9 Millionen Personen betrachten sich als Gewerkschaftsmitglied. Diese Unterschiede erklären sich in den meisten Fällen aus der zwar zahlenden, aber passiven Rolle vieler Mitglieder.

Zukunft der Vereine: Mehr sporadische Präsenz als  Dauermitgliedschaft

Die Vereine werden in Zukunft vor allem mit drei Problemen konfrontiert sein: Mit dem generellen Freizeitzuwachs, der Zunahme der 1-Personen-Haushalte und dem Geburtenrückgang. Alle drei Entwicklungen können sich nachteilig auf die Mitgliederzahlen auswirken. Das Mehr an Freizeit fördert die individuelle Spontaneität und läßt die Organisationsbereitschaft sinken. Die 1-Personen-Haushalte üben gegenüber den Vereinen weitgehende Abstinenz. Mehr als die Hälfte aller Alleinlebenden (55 %) gehören bereits heute keinem Verein an. Und die demographische Entwicklung läßt die Kinder und Jugendlichenzahl deutlich zurückgehen, sodaß es Nachwuchsprobleme in den Vereinen geben wird.

Für Prof. Dr. Horst W. Opaschowski, den wissenschaftlichen Leiter des BAT Instituts, gehört deshalb die Zukunft den Vereinen, die den Charakter von Freizeitclubs haben – mit mehr Offenheit und weniger starren Organisationsstrukturen, mit mehr Flexibilität und weniger Zwang zur Mitgliedschaft. Gefragt werden sporadische und zeitlich begrenzte Mitgliedschaften sein, Sport- und Fanclubs, Thekenmannschaften und Hobbyvereinigungen, kulturelle, soziale und politische Vereinigungen, in denen man sich zeitweilig aktiv beteiligen kann, aber nicht auf Dauer binden muß.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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