Die multimediale Zukunft 

Forschung aktuell, 134

29. April 1997

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Die multimediale Zukunft

Multimedia als geheime Miterzieher
Mehr Einfluß als Schule und Elternhaus?

Gut ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland (28%) ist mittlerweile davon überzeugt, daß die elektronischen Medien die Kindesentwicklung mehr beeinflussen als Schule und Elternhaus. Vor allem Familien mit Kindern unter 14 Jahren machen sich Sorgen (33%). Aber auch die Jugendlichen selbst demonstrieren entsprechendes Problembewußtsein: Jeder dritte Jugendliche (14- bis 17jährige: 35%) schätzt die Wirkung der Multimedia als geheime Miterzieher höher ein als etwa die Einflußkraft der hauptberuflichen Erzieher in Elternhaus und Schule. Dies geht aus einer aktuellen Repräsentativerhebung des Freizeit-Forschungsinstituts der British American Tobacco hervor, in der 3.000 Bundesbürger ab 14 Jahren nach ihren Mediengewohnheiten befragt wurden.
Jeder dritte Bundesbürger ist zudem davon überzeugt, daß die Sinnesüberreizung durch die Medienflut die Menschen nervöser und aggressiver machen wird. Haushalte mit drei und mehr Personen äußern in dieser Hinsicht mehr Befürchtungen (35%) als etwa Single-Haushalte (28%). Und die ältere Generation im Alter von 50 bis 64 Jahren macht sich in bezug auf künftige Aggressionssteigerungen mehr Sorgen (37%) als die junge Generation im Alter bis zu 29 Jahren (27%). Institutsleiter Prof. Dr. Horst W. Opaschowski: "Die Sinnesüberreizung – von der Angebotsflut bis zur teilweise hochtechnisierten Mediatisierung der Kinderzimmer – wird auf längere Sicht die Kindesentwicklung und das soziale Verhalten der Kinder nachhaltig prägen."
Das Hauptaugenmerk familiärer und schulischer Medienerziehung muß in Zukunft vorrangig darauf gerichtet sein, wie die Sinnesüberreizung durch die Medienflut bei Kindern verhindert werden kann. Dies hat mehr mit Verhaltenstraining als mit Wissensvermittlung zu tun. Konkret: Eine Anleitung zu weniger Medienkonsum kann die wirksamste Medienerziehung sein. Die Erziehung richtet sich gegen überdosierten Medienkonsum und fordert keineswegs Medienverzicht

Fast drei Viertel der Jugendlichen sehen keine TV-Nachrichten mehr

Fernsehsendungen werden sich immer ähnlicher, weil sich die TV-Sender auf der Jagd nach Einschaltquoten gegenseitig imitieren. Dabei drohen Nachrichten und politische Programme auf der Strecke zu bleiben. Seit Anfang der neunziger Jahre werden in Westdeutschland mehr Unterhaltungssendungen (1991: 36% – 1997: 42%) und Talkshows (1991: 6% – 1997: 11%) gesehen, während im gleichen Zeitraum Nachrichten (1991: 82% – 1997: 69%) und Politische Magazine (1991: 19% – 1997: 7%) deutliche Rückgänge zu verzeichnen hatten.

Die TV-Nachrichten verlieren immer mehr Anhänger vor allem bei der jungen Generation. Diese Entwicklung kann Gesellschaft und Politik nicht gleichgültig lassen. Fast drei Viertel aller Jugendlichen in Deutschland (1997: 72%) haben am gestrigen Fernsehabend keine einzige Nachrichtensendung gesehen. Jugendliche bewältigen also die Informationsflut auf eine ganz besondere Weise: Sie verweigern sich und wählen Nachrichtensendungen im Fernsehen eher ab als aus. TV-Nachrichten: "Nein, danke!" – eine Herausforderung für die Demokratie, die politische Bildungsarbeit und vor allem für neue Ideen der verantwortlichen Produzenten.

Vor allem die jungen Zuschauer können nicht mehr lange bei einer Sache verweilen. Wenn eine Nachrichtensendung langweilig oder anstrengend wird, springen die Konsumenten einfach weiter – von einem Kanal zum anderen. Symbol für die wachsende Ungeduld und Hopping-Manie der neuen TV-Generation ist die Fernbedienung. Mit ihrer Hilfe kann sich der Zuschauer jederzeit zwischen den einzelnen Programmen hin- und herbewegen:

  • Drei Viertel aller TV-Zuschauer machen regelmäßig während eines Fernsehabends von der Fernbedienung Gebrauch.
  • Fast jeder dritte Zuschauer (31%) hoppt im Durchschnitt mindestens fünfmal am Abend zwischen den TV-Programmen hin und her.
  • Jeder neunte Zuschauer (11%) kommt auf eine Hopping-Frequenz von – neunmal pro Abend oder sogar noch häufiger.

Tendenz weiter steigend: 1994 gab es unter den TV-Zuschauern 63 Prozent Hopper, 1997 sind es 76 Prozent. Männer machen von der Fernbedienung deutlich mehr Gebrauch (81%) als Frauen (73%). Die absoluten Hopping-Freaks aber sind die 14- bis 19jährigen Jugendlichen. 85 Prozent sind mit einem TV-Programm am Abend nicht zufrieden, sie "müssen" einfach hin- und herschalten

Qualitätsverschiebungen im TV-Angebot zeichnen sich ab. "Die TV-Verflachungsspirale bewirkt, daß die Zuschauer einfach auf flachere Programme umsteigen", so Prof. Dr. Horst W. Opaschowski. "Eine Art Fahrstuhl-Effekt entsteht: Die TV-Programme werden eine Niveau-Ebene tiefer gefahren." In der Tendenz siegt die Unterhaltung über die Information und Macher und Mitmacher, Produzenten und Konsumenten arrangieren sich gleichermaßen mit dem Niveauverlust.

Die Folgen medialer Reizüberflutung: Das Kind wird zum Scanner

Die psychosozialen Folgen bleiben nicht aus. Wegen der Fülle und Vielfalt der Angebote können viele Eindrücke und Informationen nur noch konfettiartig nebeneinander aufgenommen werden. Professor Opaschowski: "Kennzeichen einer Konfetti-Generation. Die Impressionen bleiben bruchstückhaft und oberflächlich. Zwischen Wortfetzen und Bildsplittern hin- und hergerissen hat sie am Ende nur wenig Zusammenhängendes gehört und gesehen." Mit der Gewöhnung an das Trommelfeuer ständig neuer Reize bekommt selbst das Außergewöhnliche den Charakter des Vorübergehenden – auf dem Weg zum nächsten Ereignis. Sobald etwas uninteressant zu werden droht, springt die neue Mediengeneration einfach weiter.

Das Tempo der heutigen Medien (MTV, Video Software, Multimedia Computer Programme u.a.) überschüttet Kinder und Jugendliche mit einer immer schnelleren Abfolge von Bildern und Informationen. Infolgedessen bringt unsere Kultur eine ganz neue Medien-Generation hervor – die "Kurzzeit-Konzentrations-Kinder". Diese Generation entwickelt ganz spezifische Konzentrationsstrategien, damit sie die Bilderflut und das Informationstempo überhaupt noch verarbeiten kann. Das Kind wird zum Scanner, d.h. das Aufwachsen in einer reizüberfluteten Umwelt zwingt das Kind, auch das eigene Leben zu scannen. Wie beim Scanner liest das Kind die Vielzahl der optischen und akustischen Signale des Lebens selektiv und subjektiv ab, um die Eindrücke überhaupt psychisch verarbeiten und speichern zu können. Eine neue Lebenstechnik muß beherrscht oder erlernt werden: Scannen – damit kann sich das Kind gegen das Zuviel der Reize wehren, indem es nur noch das wahrnimmt, was ihm persönlich wichtig erscheit. Alles Unwichtige wird ausgeblendet und für Langatmiges bleibt einfach keine Zeit.

Internet ’97: Viel Wind und wenig Surfer – die meisten Konsumenten verweigern sich

Das Informationszeitalter soll kommen. Und mit ihm die Computerisierung aller Privathaushalte. Die Zukunftsvorstellungen der Multimedia-Industrie sind klar: Das Zuhause wird zur Cyberwelt. Und das ganze Leben dreht sich nur noch um das Internet. Doch die Macher haben offensichtlich die Rechnung ohne die Mitmacher gemacht. Die meisten Privatkunden verweigern sich: Nur zwei Prozent der Deutschen (1997 keine Veränderungen gegenüber 1996) surfen gelegentlich im Internet durch die Welt, 92 Prozent aber zappen lieber im Fernsehen regelmäßig durch die Programme.

"Die Bundesbürger suchen nach Feierabend in erster Linie Entspannung und Zerstreuung", so Prof. Dr. Opaschowski. "Sie wollen sich vom Fernsehen unterhalten, berieseln und bedienen, nicht aber von langsamen Datenübertragungen im Internet nerven lassen." Die Industrie hat es bisher versäumt, den PC zu einem unterhaltsamen Massenmedium zu machen. Erst wenn es der Branche technologisch und auch psychologisch gelingt, PC und Internet mit TV, Video und Stereo problemlos zu verbinden, entsteht eine neue multimediale Erlebniswelt. Die elektronische Revolution im Wohnzimmer beginnt, wenn die privaten Online-Dienste genauso leicht zugänglich sind wie die Fernbedienung beim Fernsehen. Opaschowski: "Privates Net-Surfing muß wie ein Spielzeug handhabbar sein, wenn es eine massenmediale Zukunft haben soll."

PC-Nutzung: Lieber Spielprogramm als Programmierung

Die Befragung basiert auf 3.000 Interviews, die im Februar 1997 in Deutschland durchgeführt wurden: 22 Prozent der Deutschen besitzen einen Computer, 14 Prozent benutzen ihn auch regelmäßig zu Hause, aber nur zwei Prozent loggen sich einmal pro Woche in das Netz ein. Die elektronischen Datennetze liegen voll im Trend, die Deutschen liegen lieber auf der faulen Haut.

Hauptursachen hierfür sind nicht nur Bequemlichkeit oder Mangel an Zeit, sondern vor allem Kompetenzdefizite: Der Cyberspace wird fast nur von Höhergebildeten bevölkert. Die problemlose Datensuche im Handumdrehen wird vor allem von Gymnasial- (8%) und Universitätsabsolventen (9%) beherrscht, während der Anteil der Haupt- und Volksschulabsolventen bei unter 0,5 Prozent liegt. Die typischen Internet-User sind auch nicht die 14- bis 17jährigen Kids (2%), sondern eher die jungen Erwachsenen im Alter von 20 bis 24 Jahren (7%).

Die freizeitorientierten PC-Consumer könnten zwar online in fünf Sekunden um die Welt reisen. Doch vom Klick in die Zukunft halten sie wenig. Die meisten benutzen ihren PC lediglich als Schreibmaschine für das Briefeschreiben (17%) oder vergnügen sich bei Spielprogrammen (12%). Programmieren (3%) und Datenbankanwendung (4%) oder Bild- und Musikbearbeitung (jeweils 2%) stellen mehr die Ausnahme als die Regel dar.

Anno ’97 gleicht der Informations-Highway keiner Datenautobahn, sondern einem Trampelpfad, in dem sich ein paar elektronisch Gebildete geradezu verlieren. Nur jeder fünfzigste ist ein Internet-Nutzer, lediglich jeder hundertste ein Tele-Shopper. Für die Masse der Konsumenten sind Videospiele einfacher und Fernsehen bequemer.

Wachsende Medienkompetenz: Die Angst vor dem Multimedia-Zeitalter sinkt

Im Zeitvergleich der letzten beiden Jahre ist feststellbar, daß die Angst vor dem Multimedia-Zeitalter in Deutschland langsam zurückgeht. Immer weniger Bundesbürger trauern den alten ARD- und ZDF-Zeiten nach (1996: 32% – 1997: 27%). Auch die Angst vor Vereinsamung sinkt (1996: 57% – 1997: 55%). Und selbst die Gruppe der Gegner, die das vielfältige Medienangebot gar nicht haben wollen, wächst nicht mehr (1996: 39% – 1997: 39%). Die Anzeichen für eine Mediaphobie im Abwärtstrend verstärken sich. Informationskampagnen auf breiter Ebene und die wachsende Medienkompetenz der jugen Generation nehmen den Akzeptanzproblemen ihre Schärfe.

Die Medienwelt bleibt jedoch nach wie vor gespalten. Die Kriegs- und Nachkriegszeit hat zur Ausprägung von zwei Technikgenerationen geführt:

  • Die Älteren wehren und sperren sich mehrheitlich gegen das neue Multimedia-Angebot.
  • Die Jüngeren hingegen schätzen die Multimedia-Möglichkeiten für die Privatsphäre deutlich positiver ein.

Die Chancen des künftigen Multimedia-Zeitalters werden von der älteren Generation wohl gesehen, aber in ihrer Bedeutung relativ gering eingestuft. Ganz anders die junge Generation der 14- bis 29jährigen. In ihrer Einschätzung halten sich Chancen und Risiken des künftigen Multimedia-Zeitalters fast die Waage. Die junge Generation wird zum Hoffnungsträger. Gut ein Drittel der Jugendlichen haben die Hoffnung, daß dadurch das private Leben bereichert wird (36%), die neuen Technologien das Leben angenehmer und leichter machen (39%) und auch neue Arbeitsplätze (32%) geschaffen werden.

Hoffnungsvoll stimmt sicher, daß die junge Generation die Multimedia-Zukunft deutlich positiver sieht als die übrige Bevölkerung. Unverkennbar ist allerdings auch hier: Die Nachteile und Risiken der Medienentwicklung werden teilweise genauso schwerwiegend eingeschätzt wie die möglichen Chancen. Und jeder vierte Jugendliche gibt sich realistisch und meint: "Es fehlt die Zeit, davon Gebrauch zu machen" (26%). Professor Opaschowski: "In der Vision ist alles möglich. In der Technik ist vieles machbar. Aber in Wirklichkeit geht es nur um zwei Fragen: Wo bleibt der Mensch? Und: Was will der Konsument?"

Die Frage, wie chancen- oder risikoreich sich die multimediale Zukunft entwickelt, wird nicht nur von der jungen Generation entschieden. Die weitere Entwicklung hängt wesentlich davon ab, wie schnell es gelingt, den allgemeinen Zugang zu den Multimedia-Angeboten zu erleichtern und für ihre Verbreitung zu sorgen. Wer den Umgang mit den neuen Informationstechnologien nicht beherrscht, äußert mehr Ängste und Befürchtungen über die künftige Informationsgesellschaft als der kompetente PC-User. Gegenüber Nicht-PC-Nutzern ist beispielsweise der Anteil der PC-Nutzer mehr als doppelt so hoch, der an die Schaffung neuer Arbeitsplätze glaubt (41% gegenüber 17%). Zukunftsängste resultieren auch aus Nichtwissen. Und mit der Kompetenz wachsen die Zukunftshoffnungen.

Die Studie "Die multimediale Zukunft. Analysen und Prognosen" ist gegen eine Schutzgebühr von DM 39,- ab Anfang Juni 1997 beim Freizeit-Forschungsinstitut der British-American Tobacco (Germany) GmbH, Alsterufer 4, 20354 Hamburg zu beziehen. Journalisten und Redaktionen stellen wir auf Wunsch ein Besprechungsexemplar kostenlos zur Verfügung.

siehe auch Verzeichnis aller Publikationen

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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