Deutschland 2010 

Forschung aktuell, 158

20. Januar 2001

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(inkl. Grafiken wenn vorhanden)

Deutschland 2010

Unsere Zukunft beginnt jetzt
Deutschland 2010 – Eine neue Studie gibt positive Signale

Eine Hand misst den Puls – eine andere zeigt die Richtung: Auf diesen bildhaften Nenner lassen sich fundierte Gegenwartsanalysen und engagierte Prognosen zur Zukunft unserer Gesellschaft bringen, die jetzt vom Freizeit-Forschungsinstitut der British American Tobacco unter dem Titel "Deutschland 2010 – Wie wir morgen arbeiten und leben" veröffentlicht wurden. Autor des 360 Seiten umfassenden Buches ist der Hamburger Universitätsprofessor Dr. Horst W. Opaschowski. Dem renommierten Zukunftsforscher gelingt ein ungewöhnlicher Spagat. Er fördert unbequeme Wahrheiten zutage, seine Problemszenarien dienen ihm aber gleichzeitig dazu, nach Lösungen zu suchen, Entscheidungen vorzubereiten und zum Handeln aufzufordern.

Im Mittelpunkt von Opaschowskis Analysen steht zunächst die systematische Untersuchung der Lebensgewohnheiten der Bevölkerung. Die Ergebnisse von Repräsentativbefragungen im Zeitvergleich, die in vielen Grafiken und einem ausführlichen Datenteil dokumentiert werden, bilden die Basis seiner Vorhersagen zur Entwicklung der nächsten Jahre. Entstanden ist eine sozialkritische Analyse, die aber nicht vergisst auch positive Signale auszusenden. Folgenabschätzung, Nachhaltigkeitsdenken und soziale Verantwortlichkeit sind die Leitprinzipien seines Buches "Deutschland 2010."

Opaschowskis Blick auf die nächsten zehn Jahre ist weder utopisch noch spekulativ. So reicht der von ihm gewählte Zeitraum weit genug über die Tagespolitik hinaus, um Strukturveränderungen sichtbar zu machen. Gleichzeitig ist diese Zeitperspektive aber noch nah genug, um Chancen und Risiken der gesellschaftlichen Entwicklung realistisch abzuschätzen und zukunftsorientiert handeln zu können. Für Opaschowski ist Zukunftsforschung ganz in der Tradition des Club of Rome auch ein Synonym für den Faktor Hoffnung oder noch treffender für den Hoffnungsträger Jugend. Er will die Generation von morgen auf eine veränderte Welt vorbereiten, wobei Zweifel an scheinbar unverrückbaren Strukturen durchaus erwünscht sind. Seine Botschaft soll der nachwachsenden Generation Mut machen: "Legt euren Zukunftspessimismus ab. Ihr seid die Akteure der Zukunft!"

Als 1997 die Studie "Deutschland 2010" erstmals veröffentlicht wurde, war sie als Standardwerk für Wirtschaft, Politik und Wissenschaft schon bald vergriffen. Die nun erschienene völlig überarbeitete, hinsichtlich der Datenbasis aktualisierte und auch thematisch erweiterte Neuauflage dürfte auf ein ähnlich großes Interesse stoßen. Es ist ein engagiert und pointiert formuliertes Buch, das Mut macht zur Zukunft. Opaschowskis Thesen zu den Übergangsproblemen nachindustrieller Gesellschaften sind keine Phantasterei, wohl aber mit genügend sozialer Phantasie niedergeschrieben, um sich verantwortlich Gedanken zur Zukunft unserer Gesellschaft zu machen. "Deutschland 2010" bietet dem Leser eine Fülle sozialwissenschaftlicher Fakten, damit sich jeder eine Meinung darüber bilden kann, wie wir für die Erhaltung und Sicherung unserer Lebensqualität Vorsorge treffen können. Das Buch ist ab sofort überall im Buchhandel (Verlag Germa Press, ISBN 3-924865-35-3) für 39,90 DM erhältlich.

Textauszüge aus dem Buch:
HORST W. OPASCHOWSKI
Deutschland 2010
Wie wir morgen arbeiten und leben-
Voraussagen der Wissenschaft zur Zukunft unserer Gesellschaft
Hamburg: Germa Press Verlag
ISBN 3-924865-33-7 – DM 39,90 (€ 20,40)

Wertewandel: Freunde wichtiger als Familie

Der Wertewandel ist grundlegend: Mitte der achtziger Jahre waren für die Bundesbürger Familie sowie Ehe und Partnerschaft die persönlich wichtigsten Bereiche im Leben. Im Jahr 2000 stehen erstmals die Freunde, die Freizeitclique und der Bekanntenkreis im Zentrum des Lebens: Die Freunde sind wichtiger als die Familie geworden. Was früher nur eine Art "zweite Familie" war, ist jetzt zum Lebensmittelpunkt geworden. Die Freunde haben der Familie den Rang abgelaufen. Der Trend zur Single-Gesellschaft, zu einer Gesellschaft von Einzelgängern und Cliquen kann folgenreich sein. Ein wachsender Anteil von Menschen wird in Zukunft im hohen Alter einer enkellosen Generation angehören. Verwandtschaftliche Hilfeleistungen sind dann kaum noch zu erwarten.
Das soziale Klima in Deutschland wird rauer und kälter. Nicht Ladenschluss, Sonntagsöffnung oder Servicewüste werden die beherrschenden Themen sein. Im nächsten Jahrzehnt kommt es zum Themenwechsel in Deutschland: Im Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion steht dann mehr soziales Wohlbefinden als Wohlstandssteigerung, mehr Rentensicherung als Friedenssicherung, mehr Kriminalitätsbekämpfung als Bekämpfung der Umweltproblematik.
Der Stimmungswandel in der Bevölkerung weist die Politik auf einen neuen Handlungsbedarf hin. Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bleibt für die Bürger nach wie vor die wichtigste politische Aufgabe der Gegenwart. Aber als neue vordringlich zu lösende Probleme gelten jetzt die Sicherung der Renten und die Bekämpfung der Kriminalität.

Die Arbeitswelt 2010: 0,5 x 2 x 3

Für die Zukunft ist absehbar: Für die privilegierten Vollzeitbeschäftigten wird die Arbeit immer intensiver und konzentrierter, zeitlich länger und psychisch belastender, dafür aber auch – aus der Sicht der Unternehmen – immer produktiver und effektiver. Die neue Arbeitsformel für die Zukunft lautet: 0,5 x 2 x 3, d.h. die Hälfte der Mitarbeiter verdient doppelt so viel und muss dafür dreimal so viel leisten wie früher. Die ständige Produktivitätssteigerung bewirkt, dass immer weniger Mitarbeiter immer mehr leisten müssen.
 
Von dem Angebot zur Reduzierung der Arbeitszeit – vom kürzeren Arbeitstag bis zur Vier-Tage-Woche – wollen vor allem drei Bevölkerungsgruppen Gebrauch machen: Die Großstädter, die Höhergebildeten und die Besserverdienenden. Dies deutet auf eine fast unlösbare Aufgabe hin, die einer Quadratur des Kreises gleicht. Viele Höherqualifizierte wollen weniger arbeiten, aber Geringerqualifizierte können ihre Arbeiten nicht ohne weiteres übernehmen.

Die Konsumwelt 2010: Zwischen Zeit- und Geldnot

Erlebniskonsum ist nicht umsonst zu haben. Er bedeutet Verzicht auf Mittelmaß: Sich Qualität und Luxus leisten zu können, aber dafür auch in anderen Bereichen Billigwaren und Opferkäufe in Kauf nehmen zu müssen. Billig und teuer schließen sich nicht mehr gegenseitig aus.
Der Verbraucher wird zur gespaltenen Persönlichkeit, der das Einsparen ebenso beherrscht wie das Verschwenden. So kommt es zur Polarisierung im Kaufverhalten: Es boomen Marken aus den unteren Preissegmenten sowie Spitzenprodukte. Auf der Strecke bleiben langfristig Produkte der mittleren Preisklasse.
Die heutige Jugend definiert sich mehr denn je über den Erlebniskonsum. Doch der hohe Stellenwert kostspieliger Beschäftigungen hat seinen Preis: Viele können sich den Konsumzwängen kaum mehr entziehen. Eine deutliche Mehrheit der 14- bis 29-Jährigen hat mittlerweile das Gefühl, dass sie "zu viel Geld ausgibt". Die Verbraucher haben sich ihren Erlebniskonsum bisher auf Kosten von Muße regelrecht ‚erkauft‘: Viele können es sich zeitlich nicht mehr leisten, ihr Leben in Ruhe zu genießen. Denn: Konsumwohlstand und Zeitwohlstand zugleich sind nicht zu haben.

Die Medienwelt 2010: Zwischen Quote und Qualität

Bis zum Jahr 2010 kommt die vierte Medienrevolution auf uns zu: Die erste gehörte dem Fernsehen, die zweite der Fernbedienung, die dritte dem Internet. Die vierte Medienrevolution wird das TV-PC-Handy Set sein. Der Computer wird TV-fähig und das Handy Internet-fähig. Alles wandelt sich zum Multi-Medium für TV-Programme, Computerspiele, Internet-Surfen, Foto-CDs und Bildtelefon. Die mediale High-Tech-Phase mündet in die High-End-Phase, in der Informations-, Unterhaltungs- und Kommunikationstechnologien (I-U-K) zusammenwachsen.
Die vorausgesagte Wissensgesellschaft muss auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden. Die Zukunft gehört eher einer Infotainmentgesellschaft, die für die Verarbeitung von Information und Erfahrung kaum noch Zeit hat. Die Eventkultur verdrängt zunehmend die Wissenskultur.
Im Internet-Zeitalter hat E-Communication ("Compunication") eine größere Bedeutung als E-Commerce. Der Computer ist für die privaten Verbraucher in erster Linie ein Kommunikations- und Unterhaltungsmedium und nur gelegentlich eine Informations- oder Einkaufsbörse. Was kommt nach dem Internet? Im Post-PC-Zeitalter werden Gesundheit und Lebensqualität die Megamärkte der Zukunft sein. In der immer älter werdenden Gesellschaft boomen dann Bio- und Gentechnologien, Pharmaforschung und Forschungsindustrien gegen Krebs, Alzheimer und Demenz sowie gesundheitsnahe Branchen, die Care und Wellness, Vitalität und Revitalisierung anbieten.
Die Sportwelt 2010: Zwischen Individualisierung und Inszenierung
Deutschland ist kein Sportland mehr. Im sportlichen Vergleich z.B. mit den beiden Nachbarländern Österreich und der Schweiz kann Deutschland kaum bestehen. Der Anteil der Aktivsportler, die wenigstens einmal in der Woche Sport treiben, ist in der Schweiz mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland.
Vor dem Hintergrund der wachsenden Erlebnisorientierung und der demographischen Entwicklung in Deutschland ist in den nächsten Jahren weder ein Mitgliederzuwachs in den Vereinen noch eine Zunahme der Sportaktivität in der Bevölkerung zu erwarten. Vor allem die 14- bis 17-jährigen Jugendlichen verlassen fast fluchtartig die Vereine. Eher droht in Zukunft eine Vergreisung der Vereine: Der Rentner-Anteil wird immer größer.

Die Urlaubswelt 2010: Zwischen Risiko und Relaxen

Im künftigen Erlebnis-Zeitalter muss auch die "schönste Zeit des Jahres" neu definiert werden. Die Zeit ist reif für neue Urlaubskonzepte zwischen grünen Oasen und künstlichen Paradiesen, Abenteuertouren und Mobilität rund um die Uhr. Die Erlebnisstrategien im Tourismus müssen auf Highlights, variable Bausteinprogramme und Nischenmarketing setzen, Phantasie besitzen und Perfektion beherrschen, damit Urlauber die Wirklichkeit verträumen oder ihre Träume verwirklichen können.
 
Der Blick in die Ferienwelt von morgen macht deutlich: Der Urlauber der Zukunft wird nicht mehr nur "der" Erholungsurlauber sein. Er wechselt seine Urlaubsformen wie der Erlebniskonsument seine Kleidung. Multiple Urlaubsidentitäten sind angesagt: heute so und morgen so. Die Individualisierung im Massentourismus beschleunigt sich. Die Menschen haben das Gefühl, in einer Verpass-Kultur zu leben. Sie wollen alles erleben und vor allem im Urlaub nichts verpassen.

Die Kulturwelt 2010: Zwischen Boom und Business

Was die Markt- und Rummelplätze in früheren Jahrhunderten waren, können in Zukunft die Massenveranstaltungen und Großereignisse ("Events") im Kultur- und Unterhaltungsbereich sein: Eine Mischung aus Erlebnishunger und Bewegungslust, Sensation und Happening zugleich.
Die Kultur inszeniert ihre Festivals: Aus bloßer Opern-Musik wird schnell eine Klassik-Entertainment-Show mit Superstars. Eine Kulturveranstaltung wird zum "Event", wenn die Medien ausführlich darüber berichten, bevor die Veranstaltung überhaupt stattgefunden hat.
Nicht die Versteinerung und Konservierung von Kultur wird in Zukunft zum Problem, eher das Gegenteil: Die zwanghafte Demonstration von Aktualität in Verbindung mit der wachsenden Kommerzialisierung.

Die Sozialwelt 2010: Zwischen Erlebnishunger und Pflichtgefühl

In Zukunft ist mehr Individualisierung als Organisierung gefragt. Die Flucht aus den Institutionen erscheint unaufhaltsam. Im Jahr 2010 wird die Mehrheit der Deutschen "freiwillig" keine Organisationsbindung mehr eingehen. Davon werden die Gewerkschaften, die Parteien und die kirchlichen Vereine am meisten betroffen sein. Die Parteien verlieren ihre Basis.
Für die Zukunft besteht die Gefahr, dass der soziale Pflichtgedanke stirbt, wenn es nicht gelingt, aus der sozialen Last wieder eine soziale Lust zu machen. Gesellschaft und Politik sind hier gefordert. Soziales Engagement muss attraktiver werden.
Die Menschen müssen in Zukunft mehr außerberufliche Gelegenheiten bekommen, aktiv an den Aufgaben und Problemen der Gesellschaft teilzunehmen. Neben die passive Konsumkultur muss eine aktive Gemeinschaftskultur treten, in der sich die Menschen stärker als bisher in den Dienst sozialer Belange stellen können. Diese sozialen Aufgaben müssen so attraktiv sein, dass die Bürger freiwillig und mit Freude und Engagement dabei sind. Dies setzt aber voraus, dass solche freiwilligen Non-Profit-Dienste durch neue Status- und Prestigesymbole gesellschaftlich aufgewertet werden.

Die Wertewelt 2010: Zwischen Sinnflut und Sinnsucht

Es gibt keine Moralinstanz mehr, die richtungweisend für die Vermittlung von Wertvorstellungen sein könnte. Kirchen haben mit sich selbst zu tun, Politiker weitgehend auch. Kulturschaffende schaffen sich öffentlich kaum noch Gehör. Eltern geben vielfach ihre Leitbildfunktion auf und ihre Erziehungsverantwortung am Schultor ab. Die Schule hingegen fühlt sich überfordert und reicht die Verantwortung wie einen Wanderpokal an die Medien weiter.
Die Bürger, die Wähler und die Konsumenten sind kaum mehr berechenbar, dafür aber spontan, flexibel und mobil. Stammkunden und Stammwähler sterben aus. Stimmungs- und Wechselwähler breiten sich aus. Konsumiert und gewählt wird ganz nach persönlichem Befinden oder gesellschaftlicher Stimmungslage.
Das Plädoyer für mehr Gemeinsinn muss mehrheitsfähig gemacht werden, wenn westliche Wohlstandsgesellschaften eine lebenswerte Zukunft haben wollen. Für Multiplikatoren, politische und gesellschaftliche Entscheidungsträger gibt es durchaus eine Pflicht, sich öffentlich einzumischen. Einmischen heißt, in der Suche nach Orientierung voranzugehen, nicht alle Lösungen gleich selbst zu finden, sondern eher Fragen zu stellen und andere zu Antworten zu ermutigen.

Ausblick: Die neue Leistungsgesellschaft von morgen

Der Lebenssinn muss im 21. Jahrhundert neu definiert werden: Leben ist dann die Lust zu schaffen. Schaffensfreude (und nicht nur Arbeitsfreude) umschreibt das künftige Leistungsoptimum von Menschen, die in ihrem Leben weder über- noch unterfordert werden wollen. Schaffensfreude schließt Lust und Leistung gleichermaßen ein.
Auf dem Wege zur multiaktiven Leistungsgesellschaft, in der die selbstbestimmte Eigenleistung mehr Bedeutung bekommt, muss über das traditionelle Begriffsumfeld Leistung/Leistungsprinzip neu nachgedacht werden. Die Leistungsdiskussion, die sich jahrzehntelang fast nur im ökonomischen Fahrwasser bewegte, muss um humane und soziale Dimensionen erweitert werden.
Der Umbau der alten Erwerbsgesellschaft in eine "Neue Leistungsgesellschaft" kann gelingen auf dem Wege über die Gleichwertigkeit von bezahlter und unbezahlter Arbeit, von Erwerbsarbeit und gemeinnütziger Arbeit.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@stiftungfuerzukunftsfragen.de

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