Die Chancen einer 4-Tage-Woche

Forschung aktuell, 304

30. April 2024

Die Chancen einer 4-Tage-Woche

Die Einführung einer 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ist in Deutschland Gegenstand intensiver Debatten. Während Arbeitgeber, Verbände und Parteien sich eher skeptisch äußern, halten es fast zwei Drittel der Bundesbürger für eine gute Idee. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen, für die über 2.000 Bundesbürger ab 18 Jahre repräsentativ befragt wurden.

 

 

BESONDERS DIE JUNGE GENERATION WILL EINE 4-TAGE-WOCHE

 Bei der Analyse auffällig ist vor allem die unterschiedliche Sichtweise von jüngeren und älteren Bürgern. So plädieren drei von vier unter 35-Jährigen für eine Arbeitszeitverkürzung, während bei den über 55-Jährigen nicht einmal die Hälfte dafür stimmt. Die Argumente für eine Einführungen der 4-Tage-Woche beinhalten nicht nur Vorteile für die Arbeitnehmenden, wie eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatleben oder allgemein weniger Stress im Leben, sondern es werden auch die entstehenden Vorteile für Unternehmen genannt, wie mehr Betriebstreue, mehr Bewerber oder weniger krankheitsbedingter Ausfall. Die Sorge vor einem wirtschaftlichen Nachteil im internationalen Wettbewerb teilt nur eine Minderheit der Bevölkerung. Ganz im Gegenteil, die Mehrheit erwartet eine Produktivitätssteigerung, mehr Arbeitsmotivation und eine höhere Attraktivität für ausländische Fachkräfte durch die 4-Tage-Woche.

 

GRÜNDE FÜR DIE SICHTWEISE DER UNTER 35-JÄHRIGEN

Ein zentraler Aspekt für die unterschiedlichen Sichtweisen ist der Wandel des Stellenwerts der Arbeit in der modernen Gesellschaft. Die junge Generation legt mehr Wert auf eine ausgewogene Balance zwischen Arbeit und Freizeit, sucht Bestätigung sowie Erfüllung auch außerhalb des beruflichen Lebens, und möchte diese Zeit entsprechend genießen. Im Gegensatz dazu haben viele ältere Arbeitnehmer die 5-Tage-Woche als eine etablierte Norm über viele Jahre hinweg erlebt, sich darauf eingestellt und sie verinnerlicht. Ihre beruflichen und familiären Verpflichtungen sind oft in dieses traditionelle Arbeitsmodell eingebettet, weshalb sie sich Veränderungen in der Arbeitszeitplanung weniger vorstellen können. Zudem spielt auch der technologische Wandel eine Rolle. Die jüngere Generation ist mit digitalen Arbeitsmitteln vertrauter und schätzt es, durch diese ihren Job zeitlich und räumlich flexibler zu gestalten. Und nicht vergessen werden darf, dass die aktuelle Arbeitsmarktsituation es gerade jüngeren Arbeitnehmenden ermöglicht mehr Forderungen zu stellen, da sie von den Unternehmen geradezu umworben werden.

 

ANGST VOR DEM VERLUST DER WETTBEWERBSFÄHIGKEIT

Das Hauptargument gegen die Einführung einer 4-Tage-Woche ist die Sorge vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Hierbei wird eine reduzierte Arbeitszeit mit einer abnehmenden Produktivität gleichgesetzt. Untersuchungen bei Pilotprojekten in England oder Island widerlegen jedoch diese Sorge.

 

PROGNOSE

Die Diskussionen um die Einführung der 4-Tage-Woche werden in Zukunft zunehmen. Von zentraler Bedeutung werden hierbei Mut und Offenheit von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sein, um Bedürfnisse zu berücksichtigen, neue Modelle zu testen und Chancen zu nutzen. Digitalisierung, Automatisierung und Technisierung werden helfen bestimmte Tätigkeiten und Prozesse zukünftig schneller und effektiver auszuüben. Darüber hinaus muss das Argument der finanziellen Machbarkeit umfassender erforscht werden, u.a. um die tatsächliche Tagesproduktivität zu erkennen. Aktuell zeigen Studien, dass in Deutschland pro Tag im Schnitt zwei Stunden mit nicht produktiven Tätigkeiten verbracht werden – vom privaten Surfen, Texten und Telefonieren bis hin zu bereits von anderen erledigten und nicht notwendigen Tätigkeiten. In der Gesamtrechnung der Finanzierbarkeit sollten zudem auch die wirtschaftlichen Vorteile berücksichtigt werden. Diese reichen von weniger Krankheitskosten, über weniger Kinderbetreuungskosten bis hin zur häufigeren Ausübung eines Ehrenamtes und Übernahme von Pflegetätigkeiten. Ein weiterer wichtiger Aspekt zeigt sich in den japanischen Untersuchungen: Durch eine Arbeitszeitreduzierung kann der demographischen Entwicklung entgegengewirkt werden.

 

 

Methode:
Befragungsinstitut GfK | Feldzeit Dezember 2023 | 2.000 Befragte im Alter von 18-74 Jahren | Online

 

Zusätzliche Informationen

HISTORISCHE EINORDNUNG

Der Arbeitsumfang orientierte sich im Laufe der Geschichte lange Zeit an Tages- und Jahreszeiten, sowie an der benötigten Dauer, bis eine Tätigkeit erledigt war. Eine Einteilung der Arbeit nach Stunden erfolgte erst mit der Industrialisierung. Der Ausspruch „Arbeit, ist das halbe Leben“ stammt aus dieser Zeit und verdeutlichte die hohe zeitliche Belastung von Arbeitern. 1825 umfasste die Wochenarbeitszeit eines Vollzeitarbeitnehmers tatsächlich fast das halbe Leben und lag bei 82 Stunden. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts zeigte sich dann ein langsamer, aber stetiger Trend zur Arbeitszeitverkürzung. Zu Beginn des Jahrhunderts lag die durchschnittliche Arbeitszeit bereits bei 64 Stunden, welche sich mit der Einführung des 8-Stunden-Arbeitstages im Jahr 1918 auf 48 Stunden reduzierte. Ende der 1950er Jahre brachte dann das Gewerkschaftsmotto „Samstags gehört Vati mir“ eine allmähliche Einführung der 5-Tage-Woche mit sich, was zu einer weiteren Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden führte. Seitdem hat sich die Wochenarbeitszeit jedoch nicht weiter verändert und liegt aktuell – noch immer – bei 40 Stunden.

 

INTERNATIONAL

Im europäischen Vergleich liegt Deutschland mit seiner durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte im Mittelfeld. Während in Ländern wie Griechenland, Schweden oder Österreich tendenziell längere Arbeitszeiten üblich sind, verzeichnen Finnland, Dänemark, Frankreich und die Niederlande kürzere Arbeitswochen. Die Debatte um die Einführung einer 4-Tage-Woche ist jedoch nicht nur hierzulande aktuell. Belgien ist ein Vorreiter in Europa, da es als erstes Land einen gesetzlichen Anspruch auf eine 4-Tage-Woche eingeführt hat. Belgische Arbeitnehmende haben die Möglichkeit, flexibel zwischen vier oder fünf Arbeitstagen zu wählen, bei gleichbleibendem Arbeitspensum und Gehalt.

Island ging schon vor einigen Jahren einen Schritt weiter und reduzierte für ein Prozent der arbeitenden Bevölkerung die Arbeitszeit auf vier Tage bei vollem Lohnausgleich. Ziel war es, die Produktivität aufrechtzuerhalten, was sich nach einer Testphase bewährte: Es wurde kein Produktivitätsabfall festgestellt, sondern eine verbesserte Balance zwischen Arbeit und Freizeit. Inzwischen haben 86% der Isländer die Arbeitszeit verkürzt.

Eine vielbeachtete Studie der Universitäten Cambridge und Oxford in Großbritannien untersuchte die Auswirkungen einer verkürzten Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich bei 61 Unternehmen über sechs Monate. Das Ergebnis war signifikant: 71% weniger Burnout und 39% weniger Stress bei den Arbeitnehmenden, ein Rückgang der Krankheitstage um 65%, sowie 57% weniger Kündigungen. Kein Unternehmen verzeichnete einen Umsatzrückgang, sondern im Durchschnitt ein leichtes Plus von 1,4%. In der Folge entschieden sich 56 der 61 Unternehmen, bei der 4-Tage-Woche zu bleiben.

Auch außerhalb Europas gewinnt die 4-Tage-Woche an Bedeutung. In den USA reduzierten viele Unternehmen während der COVID-19-Pandemie Arbeitszeit und Gehalt auf 80 Prozent. Nach dem Ende der Pandemie lehnten viele Arbeitnehmende das Angebot zur Rückkehr zur vollen Arbeitszeit bei vollem Lohn ab und blieben bei einer verkürzten Woche. In Japan stellte eine Untersuchung der Regierung zur abnehmenden Geburtenrate den Zusammenhang zwischen Arbeitsstunden und fehlender Zeit für Beziehungen, Familiengründung und Kinderbetreuung fest. Um diesem Problem zu begegnen, unterstützt die japanische Regierung Unternehmen, die freiwillig auf die 4-Tage-Woche umstellen.

Ihre Ansprechpartnerin

Ayaan Güls
Pressesprecherin

Tel. 040/4151-2264
Fax 040/4151-2091
guels@zukunftsfragen.de

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